Was geht – was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur.

Debatte

Was geht – was bleibt?

Was sagt das Gegenwartskino aus über unser Verhältnis zum Militär? Warum erscheinen zurzeit so viele autobiografische Romane? Was machen NFTs mit dem Kunstmarkt? Autorinnen und Autoren aus der SWR2-Redaktion aktuelle Kultur verfolgen den Zeitgeist, mal feuilletonistisch, mal nüchtern auf den Punkt, immer interessiert. Der Podcast spürt dem hinterher, was wichtig bleibt vom aktuellen Kulturgeschehen.

Taylor Swift und Co: Wird Popmusik immer flacher?

Eine Computeranalyse der Uni Innsbruck kommt zu einem bemerkenswerten Schluss: Die Songtexte erfolgreicher Popmusik würden seit 1970 immer simpler. Das heißt, sie verwenden weniger und weniger komplexe Worte, arbeiten viel mit Wiederholungen und sind außerdem grammatikalisch einfach gestrickt. Aber selbst wenn dieser Befund stimmen sollte: Muss denn einfach auch gleich schlecht sein? Und: Kann ein Computer wirklich die Qualität eines Textes erfassen? Der Medien- und Literaturwissenschaftler Jörn Glasenapp ist da skeptisch.

"Toxische Weiblichkeit": Wie hilfreich sind solche Kategorien?

Immer freundlich sein, nie "Nein" sagen, sich um andere kümmern. Das sind Erwartungen, die typischerweise an das weibliche Geschlecht geknüpft sind. Die Autorin Sophia Fritz hat gerade den Begriff der "toxischen Weiblichkeit” in den breiteren Diskurs eingeführt, quasi als Pendant zur "toxischen Männlichkeit".

Wie sinnvoll, aber auch problematisch sind solche Kategorien? Kann man sich denn überhaupt von sozialen Rollen freimachen? Wie sähe ein nicht-toxisches Leben aus? Für die Bestsellerautorin Şeyda Kurt hält "toxische Weiblichkeit” das Patriarchat am Leben.

Aber wird man mit solchen Werkzeugen den Realitäten gerecht? Der Autor und Video-Creator Ole Liebl findet das Konzept zu binär gedacht. Bestimmte Verhaltensweisen würden damit in starre Geschlechternormen gepresst.

KI übernimmt: Aber die Ästhetik der Stockfotografie bleibt?

Die Stockfotografie stirbt, doch ihre Ästhetik wird deshalb noch lange weiterleben. Sie geht über in die DNA künstlicher Bild-KIs. Sie sind ihre Grundlage, ihr Trainingsmaterial, ihr Gehirnfutter. Die oft verlachten und oft künstlerisch nicht ernst genommene Gattung trägt uns in die Zukunft mit künstlicher Intelligenz und deren Bildgeneratoren. Zum Ärger des ganzen Berufszweigs.

In vielen Bereichen der generativen künstlichen Intelligenzen wehren sich Autoren, Medienhäuser, Künstler und Fotografen gegen die Verwendung ihrer Werke, mit denen diese KIs ohne ihre Einverständnisse und finanzielle Beteiligung trainiert werden und zur Supermacht aufsteigen.

Völlig entgrenzt: Wie stoppt man den Machtmissbrauch im Schauspiel?

Völlig entgrenzt - Wie stoppt man den Machtmissbrauch im Schauspiel? Castings unter vier Augen, im Hotelzimmer. Regisseure, die einem zu nahe kommen. Kollegen, die rumbrüllen und andere klein machen. Wer in der Film- und Theaterbranche Macht hat, der nutzt sie immer noch viel zu oft aus. In der NDR-Doku "Gegen das Schweigen” berichten Betroffene von zweideutigen Angeboten und übergriffigem Verhalten. Welches Ausmaß hat der Machtmissbrauch im Schauspiel? Und was muss sich im System konkret ändern? Dafür haben wir mit den Schauspielerinnen Alina Levshin und Melina Pyschny gesprochen, die selbst cholerische Stars am Set, aber auch körperliche Grenzübertritte bis hin zu sexuellem Missbrauch erleben mussten. Lisa Jopt vom Verein ensemble-netzwerk erklärt, wie groß die Abhängigkeiten am Theater sind. Und es wird deutlich: Es braucht nicht nur neue Strukturen, sondern auch mehr Solidarität.

Elitärer Kunstmarkt: Zugang nur für Auserwählte?

Wer heute Kunst studiert, braucht viel Energie. Nicht nur, um die eigenen künstlerischen Visionen umzusetzen, sondern auch um sich erfolgreich selbst zu vermarkten. Denn von der Kunst leben, das klappt nur bei den wenigsten. Während einige durch hohe Verkaufspreise profitieren, müssen viele andere Nebentätigkeiten nachgehen. Dies zeigt die Diskrepanz im Kunstmarkt und die Notwendigkeit einer Balance zwischen finanzieller Sicherheit und künstlerischer Freiheit.

KI-Girlfriends und Sexroboter: Wie lieben wir zukünftig?

Neuere Studien deuten darauf hin, dass junge Männer und Frauen politisch zunehmend auseinanderdriften. Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Was geschieht, wenn sie sich auch privat immer weniger verstehen? Könnten Beziehungsprobleme im realen Leben dazu führen, dass Menschen sich künftig verstärkt künstlichen Intelligenzen zuwenden? Immerhin reagieren diese stets positiv: Sie lachen über unsere Witze, erinnern sich an jede Anekdote und widersprechen selten. Und im Falle von Puppen oder Robotern ist dieser KI-Partner immer bereit für sexuelle Interaktionen.

Demos gegen die AfD: Wie wird Antifaschismus nachhaltig?

Die Bilder aus München, Berlin, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, Bonn, Köln, Erfurt und vielen, vielen anderen Städten waren beeindruckend. Nach den Enthüllungen um rechte Deportationspläne war das Erschrecken in breiten Teilen der Bevölkerung so groß, dass mehr als eine Million Menschen spontan auf die Straße gegangen sind. Was wird davon bleiben, wenn die erste Welle der Demonstrationen abgeflaut ist?

Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid ist skeptisch: "Für deutsche Verhältnisse ist es erstaunlich, dass überhaupt so viele Menschen auf die Straße gehen. Gerade in Cottbus, in Luckenwalde, aber auch in Baden-Württemberg, wo die AfD auch sehr stark ist, ist das gut. Aber ich würde nicht sagen, es ist fünf vor zwölf, sondern eher Viertel nach drei." Dass es diese Protestwelle gibt, sei gut: "Aber wir müssen auch mal abwarten, was in den nächsten Wochen passiert." Denn im Gegensatz zu rechtsextremen Gruppen seien progressive Bevölkerungsschichten schlecht organisiert.

Eine breite Bewegung sei auch deshalb so schwierig auf die Beine zu stellen, weil rechtes Gedankengut mittlerweile normalisiert sei, unterstreicht der Journalist: "Ich bin jetzt der Party Pooper: Die AfD auf null Prozent zu drücken, wird nicht klappen." Aber eine Sache hätten die Großdemonstrationen: Es gebe eine Nachfrage nach antifaschistischer Politik: "Das Potenzial dafür zu erkennen, ist eine politische Aufgabe."

Klimakleber und Bauern: Wann ist Protest legitim?

Sie sind sich eigentlich ziemlich ähnlich, die Klima-Aktivist*innen und die Bauern: Beide Gruppen blockieren den Verkehr, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Während die Letzte Generation aber auf Unverständnis und viel Wut trifft, erhalten die Landwirt*innen breite Unterstützung in der Bevölkerung. Wenn es also nicht an den Formen des Protests liegt, woran dann? Wann empfinden wir Protest als legitim und unterstützenswert? Und wann wollen wir uns nicht solidarisch zeigen, auch wenn die Forderungen vielleicht richtig sind? Darüber debattieren wir mit dem Konfliktforscher Felix Anders, der meint: Wer über gesellschaftliche Macht verfügt, dessen Forderungen erscheinen uns legitimer. Und wir sollten uns dringend dagegen wehren, dass Rechtsextreme solche Proteste vereinnahmen.

Endzeit oder Erlösung: Warum wir kurz vor der Apokalypse kurz Luft holen sollten

Wir haben nur noch 90 Sekunden bis zum Weltuntergang, hat zumindest das Bulletin of the Atomic Scientists im März festgestellt. Jedes Jahr stellen sie die Doomsday Clock neu. Jetzt also nur noch 90 Sekunden und damit näher an der Apokalypse als je zuvor. Endzeit-Fachmann Christian Jakob versucht dennoch eine gute Zukunft zu denken.

Von Spotify leben: Entsteht gerade ein neues Musikprekariat?

Der Musikindustrie geht es insgesamt so gut wie lange nicht mehr, besser sogar als zu den Hochzeiten von Schallplatte und CD. Das kommt nur leider bei kleinen und mittelgroßen Bands oft nicht an. Streaming zahlt sich vor allem für die Großen im Geschäft aus. Die meisten Berufsmusiker*innen brauchen deswegen ein zweites Standbein, um über die Runden zu kommen.

Krieg in Israel und Gaza: Wie umgehen mit Bildern von Gewalt?

Seit dem 7. Oktober, seit dem brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel, können wir den Krieg in Nahost live auf unseren Handys mitverfolgen. Videos und Bilder von Massakern, Raketenangriffen, Toten und Verletzten. Für manche Bilder gibt es auf sozialen Netzwerken wie Instagram Warnungen, bevor man sie sehen kann. Schwer ist es aber nicht, diese Warnungen zu umgehen - wenn man möchte. Wir fragen uns diese Woche: Müssen wir hinsehen, auch wenn es oft schwer zu ertragen ist? Oder dient das nur unserem Voyeurismus?

Unlearning Krise: Können Brettspiele die Gesellschaft retten?

Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass es beim Spielen einzig und allein um den Sieg geht. In Wahrheit eröffnen uns Brettspiele die Möglichkeit, die Welt und unser soziales Miteinander besser zu verstehen. Sie fordern heraus, sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen, Konflikte zu meistern und mit Niederlagen umzugehen - eine fortwährende Lektion im Kleinen, die im großen gesellschaftlichen Kontext von unschätzbarem Wert ist. Unser Gast in dieser Episode, Prof. Dr. Jens Junge - ein führender Ludologe und Spielewissenschaftler. Er beleuchtet die prognostische Kraft der Brettspiele: "Oft sind sie der Gesellschaft einen Schritt voraus, schulen uns und rüsten uns für zukünftige Konflikte." Brettspiele unterhalten uns nicht nur, sie bereiten uns auf gesellschaftliche Veränderungen vor und haben erzieherischen Wert. Mit Jens Junge taucht Host Christian Batzlen ein in eine Runde "Mühle" und entdeckt dabei die oft unterschätzten Fähigkeiten von Brettspielen. Mühle dient als Exempel für ein Spiel, das strategisches Denken, Voraussicht und Planungskompetenz fördert - Schlüsselqualifikationen, die weit über das Spielbrett hinaus von Bedeutung sind. "Spiele animieren uns dazu, neue Wege zu erkunden, besonders wenn wir als Kultur vor großen Herausforderungen stehen", erklärt Jens Junge. Diese Fähigkeit stärkt unsere Krisenfestigkeit. Spielen dient also nicht nur als Flucht vor der Realität, sondern als Trainingsfeld für Widerstandskraft - eine unverzichtbare Lektion für eine Gesellschaft, die zunehmend mit Krisen konfrontiert wird. "Systeme benötigen stetige Veränderung und Anpassung. Leben bedeutet Bewegung, und das gilt auch für das Spiel, selbst wenn es nur eine geistige Bewegung ist." In einer Welt, die oft von Krieg und Terror heimgesucht wird, kann die anhaltende Konfrontation mit Negativität das Lebensglück vieler Menschen trüben. Junge sieht im Spiel eine Strategie, mit diesen Herausforderungen umzugehen und den notwendigen Optimismus zu bewahren. Spiele fördern das Wohlbefinden und die Freude, stellen uns vor Herausforderungen und fördern soziale Wechselwirkungen. Sie sind ein Werkzeug, das in Krisenzeiten Resilienz unterstützt, anstatt zur bloßen Ablenkung zu verkommen.

KI-Fake-News in Bild und Ton: Droht uns die Infokalypse?

Mitten drin im "Informationskrieg" - nach dem Anschlag der Hamas in Israel hat die Menge an Fake-News in den Netzwerken eine nie da gewesene Qualität erreicht. Nachrichten werden für die einen selbst Kriegswerkzeug dank Manipulation. Von angeblichen Kidnapping-Videos palästinensischer Mädchen, über aus dem Kontext gerissene ägyptische Fallschirmspringer bis hin zu Cristiano Ronaldo angeblich mit einer palästinensischen Flagge im Stadion. Das stellt den Journalismus vor neue Herausforderungen, sagt Josha Weber, Journalist beim Fact-Checking Deutsche Welle.

Alles nur geklaut: Wie problematisch ist kulturelle Aneignung in der Musik?

Das Konzert eines Didgeridoo-Spielers wird abgesagt. Es folgt, wie so oft, die mediale Empörung über eine vermeintliche Verbotskultur. An dem Fall sieht man: Die emotionale Diskussion um die kulturelle Aneignung lässt auch die Musikwelt nicht aus. Aber das Thema ist ambivalent, darum fragen wir uns möglichst differenziert: Wem gehört Musik? Und wann ist eine Aneignung wertschätzend, wann ist sie problematisch?

Let’s Talk About Sex: Warum ist das so schwer?

Wir wissen heute theoretisch alles über Sex und sind aufgeklärter als frühere Generationen. Pornos, Podcasts, Dokus, Serien wie "Sex Education” und, natürlich, das Internet: Wer Informationen sucht, der findet sie. Und trotzdem scheint die Verunsicherung dadurch manchmal sogar größer geworden zu sein. Studien legen sogar nahe, dass wir in Westeuropa heute weniger Sex haben als noch Anfang der 60er-Jahre. Woher kommt dieses Paradox: Mehr Infos, aber weniger Sex? Und vor allem: Wie lässt es sich auflösen? "Der allererste Schritt ist, dass Menschen es schaffen sich in Sachen Sex zu artikulieren", sagt die Autorin Katja Lewina, "dass wir in unseren Partnerschaften reden. Das kommt zu kurz, denn viele Menschen haben dort eine große Sprachlosigkeit". Katja hat in ihren Büchern mit fremden Männern und ihren Ex-Freunden über Sex gesprochen und sich über weibliche Sexualität Gedanken gemacht. Mittlerweile falle ihr das leicht, sagt sie. "Aber ich musste mich da richtig freikämpfen.” "Let’s Talk About Sex" ist also Programm in dieser Folge und zu Wort melden sich auch der Soziologe Thorsten Benkel und Kevin Ebert vom BR Puls Sexpodcast "Im Namen der Hose".

Alle älteren Folgen von "Was geht – was bleibt?" sind hier in der Audiothek zu finden.

Credits

SWR | seit 2022 | immer freitags
Moderation und Redaktion: Philine Sauvageot, Max Knieriemen, Jan Tussing, Christian Batzlen, Kristine Harthauer, Daniel Stender, Max Bauer u.v.m.
Eine Produktion von SWR2, Südwestrundfunk

Logo SWR (Bild: SWR)

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