"Row Zero", die Rede war von einer Art organisiertem Rekrutierungssystem für sexuelle Handlungen mit dem Rammstein-Frontmann. Doch die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen nach kurzer Zeit ein. Für viele Fans gleicht das einem Freispruch.
"Panorama" hat einige der Frauen über mehrere Monate begleitet und im Umfeld der Band Rammstein recherchiert. Wie hat das sexistische Rekrutierungssystem von zumeist jungen Frauen rund um die so genannte "Row Zero" für Till Lindemann funktioniert? Geht es einfach nur um Sex, Drugs & Rock’n’Roll oder hat der Musiker Grenzen nicht akzeptiert?
Nach den ersten Veröffentlichungen im Sommer 2023 hat Panorama weiter recherchiert. In der Dokumentation kommen jetzt erstmals Menschen aus dem engeren Umfeld der Band zu Wort, zum Beispiel die Musikmanagerin Anna Yakina, die Till Lindemann für längere Zeit auf Tour begleitet hat. Panorama hat außerdem mit weiteren Frauen gesprochen, die in unterschiedlicher Form für Till Lindemanns Partys rekrutiert werden sollten bzw. rekrutiert wurden. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte nach den Medienberichten 2023 zunächst Ermittlungen gegen Lindemann aufgenommen, diese aber rund zwei Monate später wieder eingestellt.
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat insgesamt gut zwei Monate gegen Till Lindemann ermittelt, wegen des Verdachts von Sexualstraftaten und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das Verfahren wurde eingestellt, unter anderem weil sich keine mutmaßlich Betroffenen gemeldet hatten.
Sebastian Büchner, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Berlin, betonte im Gespräch mit dem NDR, dass die Hürden für Frauen, sich den Ermittlern zu offenbaren, grundsätzlich sehr hoch seien. Er könne sich "gut vorstellen, dass diese Hürde durch die mediale Begleitung einfach noch mal sehr viel höher gelegt wurde."
Bislang konnte Till Lindemann nichts strafrechtlich Relevantes nachgewiesen werden. Im juristischen Sinne ist er also unschuldig. Es gibt viele Gründe, warum ein Ermittlungsverfahren eingestellt werden kann. In diesem Fall war einer der Hauptgründe, dass keine Vernehmungen mit mutmaßlich Betroffenen geführt werden konnten. Am Ende waren die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft nicht ausreichend, um eine Anklage zu erheben. Dem NDR gegenüber haben mehrere mutmaßlich Betroffene und Zeuginnen ihre Aussagen an Eides statt versichert. Die Frauen hatten sich unter anderem deshalb nur an die Redaktionen von NDR und "Süddeutsche Zeitung" gewandt, weil sie hier ihre Identität besser geschützt sahen und Angst hatten vor der öffentlichen Reaktion, sollten ihre Namen im Rahmen eines möglichen Verfahrens öffentlich werden. Wie bereits erwähnt äußerte Sebastian Büchner, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Berlin, im Gespräch mit dem NDR, dass die Hürden für Frauen, sich den Ermittlern zu offenbaren, grundsätzlich sehr hoch seien. Er könne sich "gut vorstellen, dass diese Hürde durch die mediale Begleitung einfach noch mal sehr viel höher gelegt wurde."
Till Lindemann führt mit Hilfe seiner Anwälte mehrere juristische Verfahren parallel, gegen Shelby Lynn und die YouTuberin Kayla Shyx genauso wie gegen verschiedene Medien, darunter auch den NDR. Der NDR musste in seinen beiden größeren Rammstein-Veröffentlichungen aus dem vergangenen Juni und Juli einige Sätze ändern und eine Passage löschen. Über den Kern der Berichterstattung - der mutmaßliche Machtmissbrauch und das System zur Rekrutierung junger Frauen für Sex mit Lindemann - darf weiter berichtet werden. Die Verfahren laufen noch, die bisherigen Beschlüsse sind noch nicht rechtskräftig.
Bislang gab es wenige öffentliche Äußerungen der Band zu den Vorwürfen. Rammstein und Till Lindemann weisen zurück, dass durch Bandmitglieder am Rande von Konzerten Gesetze gebrochen wurden oder dass Shelby Lynn beim Rammstein Konzert in Vilnius unter Drogen gesetzt wurde. Einzig der Drummer Christoph Schneider postete im vergangenen Sommer ein konkretes öffentliches Statement auf seinem Instagram-Profil. Darin heißt es unter anderem: "Gewisse Strukturen sind gewachsen, die über die Grenzen und Wertvorstellungen der restlichen Bandmitglieder hinausgingen. (…) Till hat sich in den letzten Jahren von uns entfernt und sich seine eigene Blase geschaffen. Mit eigenen Leuten, eigenen Partys, eigenen Projekten."
Abgesehen von Till Lindemann hat die Band unsere Anfrage unbeantwortet gelassen. Lindemann ließ unsere umfangreiche Anfrage durch seinen Anwalt beantworten. Dieser betont, dass sexuelle Handlungen am Rande von Konzerten immer einvernehmlich gewesen seien und dass keine der Frauen in ihrer Willensbildung beeinträchtigt gewesen sei. Personen aus dem Umfeld Lindemanns, die für ihn Frauen rekrutiert haben sollen, haben die Anfragen der Redaktion nicht beantwortet.
Die Redaktion Panorama recherchierte seit Mai 2023 zu Rammstein und den Vorwürfen, die gegenüber Till Lindemann erhoben werden. In dieser Zeit haben die Kollegen immer wieder gedreht, die Protagonistinnen getroffen und Interviews geführt. Shelby Lynn, die ihre Erlebnisse auf einem Rammstein-Konzert öffentlich machte und damit die Diskussion hervorrief, wurde über die gesamte Zeit mit der Kamera begleitet. Einige aus dem Panorama-Team haben sich auch vor dieser Recherche schon mit dem Themenbereich #MeToo und der Frage nach Machtmissbrauch in der Musikindustrie beschäftigt.
Die Panorama-Redaktion hat mit rund 20 Frauen aus der sogenannten "Row Zero", der Reihe Null, gesprochen. Darüber hinaus haben die Kollegen mit zahlreichen weiteren Protagonisten geredet, zum Beispiel mit Menschen aus dem Umfeld der Band, die Lindemann auf Tour begleitet haben oder selbst Teil des Rekrutierungssystems waren.
Neben den aufgezeichneten Interviews gab es auch viele Gespräche im Hintergrund mit Menschen, die nicht bereit waren, ein Interview vor der Kamera zu geben, oder die es abgelehnt haben im Film zitiert zu werden.
Panorama berichtet grundsätzlich, wenn die Redaktion der Auffassung ist, dass ein Berichtsgegenstand hohe Relevanz für die Betroffenen und Nutzenden, sowie die öffentliche Diskussion hat. Im Fall von Rammstein und Till Lindemann ist die Redaktion davon überzeugt, dass es Fragen gibt, die unabhängig von dem, was ermittelt und angeklagt werden kann, gesellschaftlich relevant sind und öffentlich diskutiert werden sollten. Zum Beispiel die Frage, ob Till Lindemann mit einem Rekrutierungssystem, das ihm systematisch junge Frauen – auch für Sex vor, während und nach seinen Konzerten – zuführen soll, seine Macht gegenüber seinen Fans missbraucht haben könnte.
Till Lindemann und die Band Rammstein wurde mehrmals mit allen Fragen konfrontiert und sie wurden auch um Interviews gebeten. Die Band ließ alle Anfragen unbeantwortet, lediglich Lindemann ließ durch seinen Antwalt antworten: "Soweit es im Umfeld von Konzerten unseres Mandanten zu sexuellen Handlungen mit Frauen gekommen ist, waren diese stets mit dem Sex einverstanden. Sie waren in ihrer Willensbildung auch nicht beeinträchtigt". Es wurde im Zuge der Recherche und Produktion der Dokumentation versucht, die Position der Bandmitglieder ausgehend von den öffentlichen Äußerungen so gut wie möglich abzubilden und die Kollegen konnten auch mit Lindemanns Anwalt, Simon Bergmann, sprechen.
NDR | 2024 | 27 Min.
Ein Film von Elena Kuch, Isabel Schneider, Sebastian Pittelkow, Nadja Mitzkat, Daniel Drepper
Sprecherin: Maya Bothe
Juristische Beratung: Klaus Siekmann
Redaktion: Volkmar Kabisch, Volker Steinhoff
Produktionsleitung: Tobias Jahn
Eine Produktion der Redaktion "Panorama" für den NDR, Norddeutscher Rundfunk für Das Erste